Auschwitz-Gedenken: Der Enkel des Lagerkommandanten
Rainer Höß trägt einen Namen mit großer Last. Sein Großvater Rudolf Höß war der Kommandant von Auschwitz. Der Enkel hat mit seiner Familie gebrochen. Er versucht, über die Gräueltaten der Nationalsozialisten aufzuklären.
Von Cecilia Knodt, SWR
Wenn heute in Auschwitz die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus stattfindet, wird Rainer Höß nicht im Publikum sein. Er wäre gerne nach Auschwitz gefahren. Doch er weiß, dass sich viele an seiner Anwesenheit stören würden.
Als er vor fünf Jahren zum 70. Jahrestag der Befreiung nach Auschwitz kam, glich das einem Spießrutenlauf. Viele Blicke und Kommentare musste er einstecken. Der Nachkomme des Lagerkommandanten sei eben nicht gerne gesehen bei einer Zeremonie, die den Überlebenden gelte, gibt Höß ein wenig traurig zu.
Nach der Befreiung durch sowjetische Truppen verlassen Häftlinge das Lager. | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
Als Jugendlicher liest er bei einem Besuch im ehemaligen KZ Dachau auf Erklärtafeln immer wieder den Namen Rudolf Höß. Rainer Höß hat seinen Opa nicht kennengelernt, er kam erst Jahre nach dessen Tod zur Welt. Also hakt er bei seinem Vater nach, dem Sohn von Rudolf Höß. Doch der antwortet, es müsse sich wohl um einen Schreibfehler handeln, eine Verwechslung mit Rudolf Hess. Ein anderer Funktionär aus der Nazizeit also.
Die Nachfahren wollen von Massentötungen und Vernichtungslagern nichts wissen, verharmlosen den Opa als treuen Soldaten und Gefängnisleiter. Rainer Höß bricht den Kontakt zur Familie ab, als er aus Büchern erfährt, wer sein Großvater wirklich war: Rudolf Höß baute das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau auf und leitete es von 1940 bis 1943. Nach Ende des Krieges wurde er 1947 in Polen als Kriegsverbrecher zum Tod verurteilt und am Ort des ehemaligen Lagers gehängt.
Regelmäßige Besuche in AuschwitzDieser Galgen ist heute ein wichtiger Ort für Rainer Höß. Er besucht ihn bei jedem seiner Besuche in Auschwitz zuerst. Bevor er mit Schulklassen über das Gelände geht, wo mindestens 1,1 Millionen Menschen getötet wurden, braucht er dieses ganz persönliche Ritual.
Dann richtet er in Gedanken das Wort an seinen Großvater: "Hier hat dein Leben geendet, du wirst so was nie wieder tun. So etwas darf nie wieder passieren." Das ist sein Mantra, sein Antrieb. Dafür hat er den Job als Konditor und Koch aufgegeben. Seit 15 Jahren widmet er sich nur noch der Erinnerung an den Holocaust.
Mit seiner Stiftung "Footsteps" geht er an Schulen in der ganzen Welt und stellt Kontakt zu Überlebenden her. 35 Mal war er in Auschwitz. Mehr als 4000 Schüler hat er hierher begleitet. Wenn er über das Gelände des Lagers läuft, behält er seine Hände die ganze Zeit über in den Hosentaschen. Bloß nichts anfassen. Es ist seine Art, ein wenig Distanz zu dem Ort herzustellen, der ihm jedes Mal wieder sehr nah geht.
Geschäfte mit dem Holocaust?Höß ist laut und direkt. Seine öffentlichen Auftritte bei Fernsehsendungen wie bei Markus Lanz kommen nicht bei jedem gut an. Er polarisiert und provoziert, das weiß er. Etwa mit dem Tattoo auf der Brust, das einen Davidstern und Häftlingsnummern zeigt.
Vor Jahren warfen ihm Journalisten vor, er schlage Profit aus der eigenen Biografie. Höß habe Erinnerungsstücke seines Großvaters der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zum Verkauf angeboten. Das alles sei unglücklich gelaufen, sagt Höß heute.
Die Kiste hat er mittlerweile dem Institut für Zeitgeschichte in München gespendet. Es schmerze, wenn vom „Geschäftsmodell Enkel“ die Rede sei. Manchmal fragt er sich dann: Warum tue ich mir das an?
Toleranzprediger und Holocaust-BildungDoch dann fallen ihm wieder die Begegnungen ein, für die sich die Arbeit lohnt. Zum Beispiel ein Schulbesuch in Frankreich. Höß ruft die Schüler in seinen Vorträgen dazu auf, Eltern und Großeltern nach dem Holocaust zu fragen. Eine 16 Jährige erfährt so, dass auch ihr Großvater ein KZ-Kommandant war.
Die Mitschüler unterstützen das Mädchen, halten zusammen. Höß ist begeistert von der Reaktion der Jugendlichen. Das aufrichtige Interesse der Jugendlichen gibt ihm Hoffnung. In einer Zeit, die ihm auch Angst macht, weil Rechte weltweit erstarken und das Thema Hass immer weiter um sich greift.
Was wird aus der Erinnerung?Höß hat viel dazu gelernt in den Jahren als öffentlicher Enkel. Am Anfang sei er einfach reingestolpert in Gespräche mit Überlebenden. Zu neugierig, zu wissensdurstig. "Was wissen Sie über meinen Großvater?" - solche Fragen hätten viele Zeitzeugen überfordert.
Heute weiß er, es geht ums Zuhören. 177 Überlebenden hat er inzwischen zugehört. Alle Begegnungen in Ton und Bild festgehalten, damit die Geschichten auch die folgenden Generationen erreichen. Dann, wenn es bald keine Zeitzeugen mehr geben wird. Sein Ziel steht fest, auch das hat er sich auf die Brust tätowiert: "Never forget".