„Wahl“ in Belarus: Testlauf für Lukaschenkos Machterhalt
Wie auch in der Vergangenheit sollen 110 Sitze des Repräsentantenhauses in 110 Wahlkreisen mit jeweils relativer Mehrheit bestimmt werden. Politische Parteien spielen aufgrund dieses Wahlrechts traditionell nur eine vergleichsweise geringe Rolle in Belarus.
„Diese ‚Wahlen‘ sind eine Farce und Imitation, sie haben nichts mit Wahlen gemein“, sagte Franak Wjatschorka, außenpolitischer Berater der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die diese Woche in Wien gastierte, zur APA. Es gebe keine einzige Alternative, die nicht unter dem Einfluss Lukaschenkos stehe.
Umstrittene Wahlen in Belarus
In Belarus finden am Sonntag Parlaments- und Kommunalwahlen statt. Es gibt keine Oppositionskandidaten, unabhängige Wahlbeobachter wurden nicht zugelassen. Die Opposition rief zum Boykott auf.
Tichanowskaja ruft zur Nichtanerkennung der Wahl auf
Zu den zugelassenen Parteien gehören allen voran die kommunistische Belaja Rus, die Liberal-Demokratische Partei und die Arbeiterpartei. Sie alle verhalten sich regimetreu. Regimekritikerin Tichanowskaja rief deshalb vom Exil aus die Teilnehmerstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zur Nichtanerkennung der Parlamentswahlen in Belarus auf.
Am Sonntag bekräftigte sie ihren Aufruf und rief zum Boykott der Wahlen auf: „Ich fordere die Belarussen und die internationale Gemeinschaft dazu auf, diesen Schwindel kategorisch zurückzuweisen“, schrieb Tichanowskaja auf X (Twitter).
In den Wahllokalen werden nach ihrer Auffassung Soldaten stationiert sein, auch gäbe es keine Vorhänge mehr vor den Wahlzellen, sagte sie der „Presse“ am Freitag. Die Opposition ermutige die Bevölkerung, an den Wahlen nicht teilzunehmen, doch das Regime übe Druck aus.
Die oppositionelle Internetplattform Serkalo berichtete davon, wie Studierende und Angestellte im öffentlichen Dienst und in Staatsbetrieben dazu genötigt wurden, ihren Stimmzettel vorzeitig und unter Kontrolle von Vorgesetzten in die Wahlurne zu werfen.
Regime rühmt sich mit „Engagement“ von Kandidaten
Vertreter des Regimes von Lukaschenko verteidigten hingegen den Wahlgang im Vorfeld. „Das Engagement (von Kandidaten, Anm.) und die Organisiertheit stechen dabei ins Auge“, so der regimenahe Soziologe Sergej Mussijenko gegenüber der APA, der als Experte die zentrale Wahlkommission berät.
Debatte
Wie viel ist die Ukraine dem Westen wert?
Es stünden mehrere Kandidaten zur Wahl und es gebe kein Verbot, für den einen oder anderen Kandidaten zu stimmen. „Mit diesen Wahlen reagieren wir auf eine angespannte Situation um uns herum“, sagte Mussijenko und meinte damit mutmaßlich die Lage in der Ukraine, die vor zwei Jahren von Russland angegriffen wurde.
Putin hatte damals bereits starken Rückhalt von Lukaschenko, denn die Invasion der Ukraine wurde von russischen Truppen unter anderem von Belarus aus gestartet. In der Zwischenzeit gestattete Lukaschenko Russland die Stationierung taktischer Atomwaffen auf belarussischem Boden.
Thinktank: Machtwechsel soll ausgeschlossen werden
In Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen, die 2025 anstehen, teste das Regime von Lukaschenko mit gleichzeitigen Parlaments- und Lokalwahlen neue Technologien, die als „elektorale Souveränität“ bezeichnet würden, schrieb der auf Belarus spezialisierte Thinktank iSANS in einer Analyse.
Regimetreue Quellen wie etwa „Belarus Today“ meinen damit die Wahlbeobachtung durch Expertinnen und Experten im eigenen Land und rechtfertigen so das Fernbleiben der OSZE-Wahlbeobachter und -beobachterinnen, die die Regierung in Minsk nicht ins Land lässt. Die neuen Mechanismen, insbesondere der Ausschluss von unabhängigen Kandidaten und Kandidatinnen, Wahlkommissionsmitgliedern sowie Medien, sollten einen Machtwechsel durch Wahlen völlig ausschließen, schreibt iSANS weiter.
„Möglichkeit für Machtübergabe an einen seiner Söhne“
Ziel sei eine Stärkung der präsidentiellen Macht und Kontrolle. „Das erneuerte System schafft große Möglichkeiten dafür, dass Lukaschenko seine Macht an einen seiner Söhne übergibt, und impliziert eine Konfrontation mit den europäischen, demokratischen Nachbarländern und schließt auch die Teilnahme an aggressiven Aktionen im Bündnis mit Moskau nicht aus“, so die internationalen Expertinnen und Experten des Thinktanks.
Bis auf Russland schotten sich umliegende Länder zunehmend von Belarus ab. Der EU- und NATO-Staat Litauen etwa schloss erst am Mittwoch zwei weitere Grenzübergänge zu dem Nachbarland – aus Sicherheitsgründen, wie es heißt. Damit bleiben nur noch zwei der sechs Übergänge entlang der fast 680 Kilometer langen Grenze zwischen Litauen und Belarus offen.
Lukaschenko ordnet Straßenpatrouillen an
Lukaschenko ordnete indes Sicherheitsvorkehrungen für sein eigenes Land an. Mit bewaffneten Straßenpatrouillen solle die Kriminalität besser in den Griff gebracht werden, sagte der Präsident bei einem Treffen mit Vertretern der zentralen Sicherheitsorgane diese Woche. Zwar gehe die Kriminalitätsrate in Belarus zurück, das Land sei jedoch durch Verbrechen „extremistischer Natur“ gefährdet. Lukaschenko deutete an, dass diese aus dem Ausland gesteuert seien.
Davor hatte der Präsident verkündet, an der Grenze zwischen der Ukraine und Belarus seien mehrere Staatsangehörige beider Länder festgenommen worden. Es habe sich um einen Anti-Terror-Einsatz gegen Saboteure gehandelt. Lukaschenko forderte unter anderem das Innenministerium, den Geheimdienst und die Staatsanwaltschaft auf, das unter Kontrolle zu bringen. „Patrouillen müssen mit Kleinwaffen bewaffnet sein, mindestens mit Pistolen“, so der Machthaber.
Lukaschenko: Trete 2025 erneut an
Am Sonntag kündigte Lukaschenko laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Belta an, bei der Präsidentschaftswahl 2025 erneut anzutreten. „Niemand, kein verantwortungsvoller Präsident würde sein Volk im Stich lassen, das ihm in die Schlacht gefolgt ist.“ Lukaschenko äußerte sich dem Agenturbericht zufolge, nachdem er seine Stimme bei der Parlamentswahl abgegeben hatte.
Schallenberg: „Schleichende Übernahme durch Russland“
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) kritisierte die „schleichende Übernahme Belarus’ durch Russland“ und sprach sich für die Freilassung politischer Gefangener in Belarus aus – unter anderem ein Thema, das Tichanowskaja in Wien mit Blick auf den Tod des russischen Kreml-Gegners Alexej Nawalny angesprochen hatte. Sie hatte bei der belarussischen Präsidentschaftswahl 2020 anstatt ihres inhaftierten Mannes Sergej Tichanowski gegen Machthaber Lukaschenko kandidiert. Der „Presse“ sagte sie, sie wisse nicht, ob ihr Mann noch lebe.
Nach der von schweren Betrugsvorwürfen überschatteten Wahl beanspruchte der seit 1994 herrschende Lukaschenko den Sieg für sich. Die Opposition erkennt dieses Wahlergebnis nicht an, ebenso wenig die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder. Es folgten Massenproteste in Minsk, an denen sich Hunderttausende Menschen beteiligten. Lukaschenko ließ die Proteste gewaltsam niederschlagen. Zahlreiche Oppositionelle flohen ins Ausland, darunter auch Tichanowskaja, die seitdem international als die Anführerin der Opposition gegen Lukaschenko gilt. Sie wurde in Belarus in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt.