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Costa Concordia: "Ein Kommandant war nirgendwo zu sehen"

Costa Concordia Ein Kommandant war nirgendwo zu sehen
Die "Costa Concordia" war einmal Italiens größtes Kreuzfahrtschiff. Vor zehn Jahren havarierte sie vor der Insel Giglio und sank teilweise. Die damaligen Helfer sagen: Keiner der 32 Toten hätte sterben müssen. Von J. Seisselberg.

Stand: 13.01.2022 05:03 Uhr

Die "Costa Concordia" war einmal Italiens größtes Kreuzfahrtschiff. Vor zehn Jahren havarierte sie vor der Insel Giglio und sank teilweise. Die damaligen Helfer sagen: Keiner der 32 Toten hätte sterben müssen.

Von Jörg Seisselberg, ARD-Studio Rom

Mario Pellegrini steht am kleinen Hafen von Giglio - so wie vor zehn Jahren. Der Geschäftsführer mehrerer Restaurants deutet in die benachbarte Bucht. Dort, sagt der 58-Jährige, habe damals, am späten Abend des 13. Januar 2012, die "Costa Concordia" gelegen: "Es war sofort zu sehen, dass es ein großes Problem gibt. Dieses Riesenschiff direkt vor der Insel, auf einen Felsen aufgelaufen - ich war schwer besorgt."

Jörg Seisselberg
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Pellegrini handelte. Während der Kapitän des Schiffes, Francesco Schettino, sich an Land bringen ließ, ging Pellegrini den umgekehrten Weg. Der gebürtige Gigliese, damals stellvertretender Bürgermeister der Insel, schnappte sich das erste ankommende Rettungsboot und fuhr hinüber zum Unglücksschiff. "Ich habe mich dann entschlossen, an Bord zu gehen", erzählt er dem ARD-Studio Rom. Alles sei in Aufregung gewesen, "ein Kommandant war nirgendwo zu sehen und ich wollte helfen".

Pellegrini war der erste Retter, der an Bord stieg. Er bekam mit, wie sich das einst größte Kreuzfahrtschiff Italiens unter seinen Füßen auf die Seite drehte, sich die Gänge im Inneren des Schiffes mit Wasser füllten. Mit einem Seil zog Pellegrini rund ein Dutzend Menschen aus einem überfluteten Aufzugsschacht und rettete ihnen das Leben.

Eine Aufforderung ohne Folgen

Zuvor hatte in der Zentrale der Küstenwache in Livorno der Offizier Gregorio De Falco per Funk versucht, den vom Schiff geflüchteten Kapitän zur Rückkehr zu bewegen. "Gehen Sie zurück an Bord", herrschte der aufgebrachte De Falco Schettino an und schickte noch ein Schimpfwort hinterher. Der Kapitän aber blieb, im Gegensatz zu freiwilligen Rettern wie Pellegrini, an Land.

Schettino-Gegenspieler De Falco sitzt heute im italienischen Senat. Gewählt unter anderem, weil der Marineoffizier nach der Unglücksnacht als ein Symbol des anständigen, pflichtbewussten Italiens gilt. Auch mit dem Abstand von zehn Jahren ist De Falco überzeugt: Alle 32 Menschen, die in der "Costa Concordia" starben, könnten noch am Leben sein. Dem ARD-Studio Rom sagt De Falco: "Wenn so reagiert worden wäre, wie vorgeschrieben, hätte es für niemanden Probleme gegeben."

Aus der Luft betrachtet wird besonders deutlich, wie nah an der Insel das Kreuzfahrtschiff havarierte. Bild: dpa

Das rettende Ufer - nur 100 Meter entfernt

Denn das havarierte Schiffes war nur rund 100 Meter vom rettenden Ufer der Insel Giglio entfernt. Die tödliche Gefahr, erläutert De Falco, sei alleine dadurch entstanden, dass die Passagiere von der Schiffsführung mit einer Dreiviertelstunde Verspätung an Deck gerufen wurden: "Der Aufprall auf den Felsen geschah um 21:45 Uhr. Fünf bis zehn Minuten später war klar, dass mindestens vier Schiffsbereiche unter Wasser standen." Schon zu diesem Zeitpunkt, sagt De Falco, hätte die Schiffsführung den Vorschriften nach der Notfall ausrufen und alle Passagiere von Bord bringen müssen.

Aber erst nach 22:34 Uhr wurde, auf Drängen der Küstenwache, offiziell Alarm ausgelöst. Die leckgeschlagene "Costa Concordia" legte sich kurz darauf fast komplett auf die Seite, alle Rettungsboote an Steuerbord wurden unbrauchbar, im Inneren des Schiffes machte das einfließende Wasser Gänge und Aufzüge zu tödlichen Fallen.

An der Hafenpier in Giglio sind die Namen der 32 Opfer in eine Erinnerungstafel eingraviert. Bei der heutigen Gedenkfeier wird auch Ersthelfer Pellegrini dabei sein. Einige Bilder jener Nacht, erzählt er, gingen ihm bis heute nicht aus dem Kopf: "Die Augen der Kinder, ihre Gesichter, die voll waren von Angst und Tränen. Das zu sehen, wünsche ich niemanden." Diese Bilder, sagt Pellegrini, hätten sich in seine Erinnerung eingebrannt.

Mario Pellegrini rettete in der Nacht der Havarie viele Menschen auf dem Schiff ... Bild: Jörg Seisselberg

... während Franceso Schettino sich schnell von Bord flüchtete. Bild: EPA

In Genua verschrottet

Vom Unglücksschiff ist heute nichts mehr übrig. Zwei Jahre nach der Havarie ist die "Costa Concordia" nach Genua geschleppt und dort verschrottet worden. Die Muttergesellschaft, das US-Unternehmen Carnival, hat nach eigenen Angaben den Überlebenden jeweils 11.000 Euro Entschädigung gezahlt. Über die Höhe der Zahlungen an Angehörige der Opfer gibt es keine Angaben.

Der damals verantwortliche Kapitän Schettino erlebt den zehnten Jahrestag des Unglücks im Römer Gefängnis Rebibbia. Der heute 61-Jährige ist zu 16 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. 2017 wurde das Urteil in letzter Instanz bestätigt. Laut italienischen Medienberichten gilt Schettino in Rebibbia als "Musterhäftling", er habe Kurse an einer Fernuniversität in Jura und Journalismus belegt. Bei guter Führung könnte der "Costa-Concordia"-Kapitän bereits in vier Monaten, im Mai, vorzeitig frei entlassen werden. 

Zehnter Jahrestag des Unglücks der Costa Concordia

Jörg Seisselberg, ARD Rom, 13.1.2022 · 06:36 Uhr

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