Inflation steigt im Euroraum auf ein 30-Jahres-Hoch
Über ein Jahrzehnt lang war die Inflation eines der Sorgenkinder der Europäischen Zentralbank (EZB). Trotz intensivster Bemühungen und vieler Billionen schwerer Unterstützungsmaßnahmen wollte sie nach der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr das angepeilte Niveau von zwei Prozent erreichen. Lange befürchtete man sogar eine Deflation, eine Phase sinkender Preise, die als besonders gefährlich weil investitionshemmend eingestuft wurde.
Das Corona-Virus hat im Jahr 2021 aber geschafft, was der EZB nicht gelungen ist - und die Wende in die entgegenbgesetzte Richtung gebracht. Seit Monaten steigen die Inflationsraten, in Europa ebenso wie in den USA. Nun hat die Teuerung in Europa Werte erreicht, die es 30 Jahre lang nicht gab.
Im November ist die Inflation über den gesamten Euroraum gerechnet auf 4,9 Prozent gestiegen, wie das europäische Statistikamt Eurostat nach einer ersten Schätzung mitteilte. Das ist das das bisher höchste Niveau seit Beginn der Eurostat-Messungen im Jahr 1997.
Über 5 Prozent InflationIn Deutschland ist die Teuerung im November 2021 zum ersten Mal seit fast 30 Jahren über die Marke von fünf Prozent gestiegen. Waren und Dienstleistungen kosteten um 5,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, vor allem die Energiekosten sind markant gestiegen. Deutsche Ökonomen hatten nur einen Anstieg auf 5,0 Prozent vorhergesagt. Im Oktober war die Inflationsrate noch bei 4,5 Prozent gelegen, im September bei 4,1 Prozent.
Auch in Spanien hat die Inflation ein 30-Jahres-Hoch erreicht. Im November stiegen die Verbraucherpreise um 5,6 Prozent. Für Österreich hat die Statistik Austria die Inflationsrate im November auf 4,3 Prozent geschätzt. Im Oktober lag sie bei 3,6 Prozent.
Energie war mit Preissteigerungen von 27,4 Prozent der stärkste Preistreiber. Ohne Energie und unverarbeitete Lebensmittel läge die Inflation im November nur bei 2,6 Prozent. Unverarbeitete Lebensmittel verteuerten sich um 1,9 Prozent, Industriegüter ohne Energie um 2,4 Prozent. Dienstleistungen kosteten 2,7 Prozent mehr.
EZB: "Höhepunkt erreicht"Das EZB-Direktorium schätzt die Inflation zwar immer noch als vorübergehendes Phänomen ein und sieht den Höhepunkt der Entwicklung bereits erreicht - wie etwa Direktorin Isabel Schnabel im Deutschen Fernsehen betonte. "Die Energiepreise werden nicht mit dem gleichen Tempo weiter steigen", sagte sie. Die pandemiebedingten Lieferengpässe in der Wirtschaft dürften sich zudem allmählich auflösen.
Sollte sich die Inflation dauerhaft auf einem höheren Niveau als zwei Prozent festsetzen, werde die EZB entschlossen reagieren. "Aber im Moment wäre es eben ein Fehler, die Zinsen frühzeitig zu erhöhen und damit den Aufschwung zu bremsen, denn das würde im Wesentlichen zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit führen und würde an der aktuell sehr, sehr hohen Inflation gar nichts mehr ändern können", sagte Schnabel.
Die EZB wird nach Ansicht ihres Vizechefs Luis de Guindos auch nach einem Ende ihres Corona-Notprogramms PEPP im kommenden Jahr Anleihenkäufe als Konjunkturstütze nutzen. Die Äußerungen lassen darauf schließen, dass nächstes Jahr trotz der derzeit rasant steigenden Preise nicht mit einer Zinserhöhung zu rechnen ist. Denn das Auslaufen der Anleihenzukäufe gilt als Voraussetzung für eine Zinswende.
Oberbank: "Rechnen mit 3 Prozent"Die Preisentwicklungen vom Oktober deuten allerdings noch nicht auf eine Beruhigung hin. Die Erzeugerpreise des produzierenden Bereichs in Österreich lagen im Oktober um 13,9 Prozent über dem Vorjahresniveau. Das war der höchste Anstieg seit Beginn der Aufzeichnungen im Jänner 2000. Deutliche Preiszuwächse gab es im Oktober bei Energie (31,8 Prozent) und Vorleistungsgütern (15,6 Prozent). Hier waren vorwiegend die starken Preisanstiege im Bereich "Metallerzeugung und -bearbeitung" (plus 34,3 Prozent) verantwortlich. Einen weiteren Preisschub verzeichnete im Oktober 2021 der Bereich chemische Industrie. Die Preise für Konsumgüter verzeichneten einen Zuwachs von 2,3 Prozent. "Milch und Milcherzeugnisse" verteuerten sich um 4,2 Prozent und "haltbar gemachtes Fleisch und Fleischerzeugnisse" um 2,9 Prozent.
Wenn Oberbank-Chef Franz Gasselsberger recht behält, dann wird die EZB Zinserhöhungen ernsthaft in Betracht ziehen müssen. Gasselsberger rechnet nämlich auch in den nächsten zwei Jahren mit Inflationswerten von über drei Prozent, wenngleich sie auch nicht auf den aktuell hohen Werten bleiben werde. Die erwartet höhere Teuerung erklärt er vor allem mit höheren Kollektivvertrags-Abschlüssen und gestiegener Rohstoffpreise.
Ein Ende der Probleme in den globalen Lieferketten ist für den Banker noch abschätzbar. Laut Basisszenario der Oberbank werde sich die Lieferkettenproblematik aber im Laufe des kommenden Jahres nach und nach auflösen. Es gebe aber auch Kunden, die eine längere Dauer bis ins Jahr 2023 hinein erwarten, so Gasselsberger. Positiv seien die derzeit vollen Auftragsbücher der Firmenkunden, allerdings hinkt aufgrund des Material- und Personalmangels in einigen Bereichen hinterher.
Auf Dauer sei das durchaus auch ein Risiko. Man müsse berücksichtigen, dass in den Betrieben mittlerweile drei bis 10 Prozent der Mitarbeiter infiziert oder in Quarantäne seien. Hinzu komme ein seit längerem bestehender Facharbeitermangel sowie höhere Preise und ein Mangel bei Rohstoffen und Materialien. "Das macht den Unternehmen doch sehr zu schaffen", so Gasselsberger.