John Travolta wird 70: Jedes Drehbuch eignet sich als Tanzboden

Massives Können braucht eine stabile Bühne, sonst bricht es durch den Boden und lässt ein Loch zurück. Einer wie John Travolta wird in einem schlechten Film schnell die nur noch scheinlebendig herumlaufende, anklagende Abwesenheit all dessen, was er eigentlich kann – zum Beispiel in „Battlefield Earth“ aus dem Jahr 2000, der Verfilmung eines verhauenen Romans des Propheten der dummen Sekte, auf die Travolta schwört. Die Ausstattungsabteilung dieses Desasters hat die komplette Band Kiss mit allen Rasselketten und Plateaustiefeln in die außerirdische Gruselgestalt gestopft, die Travolta hier spielen muss, und dann noch dumme Dreadlocks drangehängt. Schlimm.

Wenn freilich die Umgebung etwas taugt, passt er in jede: In „The General’s Daughter“ (1999) zum Beispiel wirkt er so southern fried, als hätte er sein ganzes Leben im feuchtheißen Klima von Georgia verbracht, und wer andererseits seine frühen Sitcom-Scherze in der Fernsehserie „Welcome Back, Kotter“ (1975 bis 1979) kennt, hält ihn für den geborenen New Yorker, der dieses jüngste von sechs Kindern eines italo-amerikanischen Footballhelden und Reifenverkäufers tatsächlich ist.
Als Tänzer auch eine Geschichte erzählen
Schlachtfeld Erde, süßer Süden, Ostküstenmetropole: Räume gleich welchen Zuschnitts erschließt sich der Mann über eine Auffassung von Schauspielerei, die man in Analogiebildung zum esoterischen Ideal der Ganzheitlichkeit von Leib und Seele wohl „Tanzheitlichkeit“ nennen muss.

John Travolta wird siebzig : John Travolta wird siebzig
Denn nicht nur gehören Filme, in denen er tanzt, zu seinen allerbesten, vor allem „Saturday Night Fever“ (1977), „Grease“ (1978) und „Pulp Fiction“ (1994), weil es ihm darin jedesmal gelingt, die jeweilige Musik der Aufgabe zu unterwerfen, als Tänzer auch eine Geschichte zu erzählen, statt dem Klang zu erlauben, den Plot mit Stimmungen zu überschwemmen – es ist wirklich fast egal, ob gerade die Bee Gees jaulen oder Olivia Newton-John fiepst, Travolta könnte auch in völliger Stille graziöse und kraftvolle Mitteilungen an die seelischen Bewegungsmelder und Storyprotokollspeicher im Publikum aussenden.
Mehr noch: eine tief tanzaffine Funktionslust an dynamischen Beziehungen zum restlichen Personal vor der Kamera prägt bei ihm selbst die Wortwechsel; der verbale Paarlauf etwa, den er in „Pulp Fiction“ mit Samuel L. Jackson hinlegt, entfaltet eine noch mitreißendere Musikalität als sein berühmter Pas de deux mit Uma Thurman im selben Film.
Inzwischen muss er sich, wenn er Bewegung braucht, gelegentlich an Quatsch wegschmeißen wie „Paradise City“ (2022) mit dem tragisch bröckelnden Bruce Willis. Denn die sozialhistorische Voraussetzung „stabile Bühne“ ist für einen wie ihn im amerikanischen Kino derzeit nur sehr bedingt gegeben - ein Filmland braucht ja einen ausreichend hohen Stand der Gesittung und des Geschmacks, wenn es Sachen wie „Saturday Night Fever“ hervorbingen soll, und das reicht auf verwickelte Weise bis in die große Politik, wie man an Travoltas Leistung in „Primary Colors“ (1998) ablesen kann: Da spielt er ein Abbild des realen Präsidenten Bill Clinton in dessen Aufstiegszeit, also eine durchaus leicht anrüchige Legierung von Schlingel und Schurke, mit der sich jedoch Kinotaugliches anfangen ließ. Was aber soll ein Film mit den beiden Untoten anstellen, die derzeit in den USA aufeinander und einen Wahltermin zukriechen, bei dem’s um Clintons alten Chefposten geht? „Battlefield Earth 2“?
Travoltas Barmixervermögen, dreiste Eleganz und ein bisschen Schmierigkeit im richtigen Verhältnis zueinander abzumischen, hat Schule gemacht: die James Francos, Adam Drivers und Austin Butlers der Gegenwart wären ohne ihn schwer denkbar. Er selbst eiferte zu Beginn seiner Laufbahn dem älteren Zunftbruder Al Pacino nach (in „Saturday Night Fever“ ist das explizit ausgestellt), mied aber zumeist dessen gelegentlich allzu aggressiven Umgang mit den eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, also das Augenrollen, Schreien und Fuchteln. In John Woos „Face/Off“ (1997) tanzt er mit dem ähnlich veranlagten Kollegen Nicolas Cage die geniale Idee, nicht etwa sich selbst „als irgendwer sonst“, sondern je einander zu spielen, und man kann (nicht nur) bei ihm die Auswahl derjenigen Filme, die eine sehr große Kinokarriere groß machen, anhand der jeweiligen Besetzungslisten wohl mindestens so sicher treffen wie anhand der Aufzählung der Namen der jeweiligen Regiegrößen.
Travolta gehört zu den wenigen Stars seiner Größenordnung, die man sich nur unterwegs vorstellen kann, on the move, mitunter auf Abwegen und in Sackgassen, aber nie zum Standbild erstarrt. Nicht einmal Botox und Scientology zusammen haben sein nach wie vor rätselhaft schüchternes Lächeln zu Image-Eis gefrieren lassen. Am Sonntag wird er siebzig Jahre alt.