Massive Vorwürfe gegen Wiener Luxusrestaurant
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Sterneküche
Etikettenschwindel, Ausbeutung, nicht genehmigte Kellerküchen: Was steckt hinten den Recherchen der "Wiener Zeitung" zu Sternekoch Konstantin Filippou?
Severin Corti
20. Februar 2025, 15:25

Im angeblich "besten Restaurant der Welt", dem dänischen Noma, wurden Praktikanten schamlos ausgenutzt, sie mussten 70 Wochenstunden und mehr gratis arbeiten, zum Teil unter abenteuerlichen Bedingungen: Vor gerade einmal zwei Jahren erschütterte dieser Bericht der Financial Times die Welt des Fine Dining. In der Gourmetdestination Kopenhagen wenden Nobelrestaurants demnach reihenweise vergleichbare – und noch schlimmere – Praktiken an.
Hinter vorgehaltener Hand wurde daraufhin getuschelt, dass solch eine Recherche hierzulande kaum weniger Skandalöses offenlegen könnte. Jetzt hat das Investigativteam der Wiener Zeitung genau das gemacht. Was an Details über einen der prominentesten Betriebe des Landes, das Restaurant "Konstantin Filippou" (zwei Michelin-Sterne, fünf Hauben), berichtet wird, ist heftig.
Die Liste der Vorwürfe ist lang, alles soll belegt sein. Zuallererst geht es um Etikettenschwindel bei den Zutaten – wenn etwa statt lebend gelieferten Kaisergranats aus Kroatien, wie Filippou sie noch 2023 in einem Interview mit dem STANDARD angepriesen hatte, tiefgekühlte Ware aus Dänemark zum Einsatz kommt. Oder Jakobsmuscheln: Während im Menü (360 Euro) handgetauchte Exemplare aus Norwegen angekündigt werden, sollen in Wahrheit schockgefrorene aus dem Pazifik serviert worden sein. Erst auf Nachfrage der Zeitung sei die noble Herkunft urplötzlich aus dem Menü verschwunden.
Ähnlich beim Vorwurf überlanger Arbeitszeiten, unflätiger Beschimpfungen und eines Klimas der "Angst" unter den Mitarbeitern: Laut Wiener Zeitung waren 18-Stunden-Tage an der Tagesordnung, Überstunden wurden nicht fair entlohnt. Auch habe Filippou Mitarbeiter angeschrien, dass er ihretwegen keinen dritten Stern bekommen habe. Konstantin Filippou gibt Fehlverhalten "im Stressmoment" zu, will Beschimpfungen aber nicht beleidigend gemeint haben.
Nicht zuletzt geht es um eine illegale Vorbereitungsküche im Keller des Zweisternelokals: Der Zeitung liegen Videos vor, die Mitarbeiter bei der Zubereitung zeigen, aus einem Loch in der Decke des Gewölbes rieselt derweil Schutt von einer Baustelle auf dem darüberliegenden Gehsteig. Filippou: "Hier wird nicht gekocht."
Erklärungsbedarf
Auf Nachfrage des STANDARD gibt der Sternekoch zu, dass "Missstände passiert sind, an deren Aufhebung wir mit vollem Einsatz arbeiten". Was die Vorwürfe nicht korrekt ausgezahlter Überstunden betrifft, gibt er an, "genau zu wissen, woher das kommt". Der Spitzenkoch spricht von gezielter "Vernaderung", die er bereits einem Anwalt übergeben habe.
Auch die Vorbereitungsküche im Keller sei eine Erfindung: "Es gibt da unten nicht einmal einen Wasseranschluss." Und der Etikettenschwindel im Menü? "Da hat ein Koch offenbar nicht gut kommuniziert, das müssen wir verbessern", sagt Filippou. "Es kann immer sein, dass eine Zutat aktuell nur aus anderer Quelle verfügbar ist. Aber auch schockgefrorene Ware ist top." Er betreibe "verschiedene Outlets", die unterschiedliche Ware anböten. Deshalb seien die inkriminierten Zutaten vielleicht nicht für das Spitzenrestaurant bestimmt gewesen, auch wenn sie ebenda angeliefert wurden. Jedoch: Auch dem STANDARD legt er keine Rechnungen vor, die den Einsatz norwegischer Jakobsmuscheln belegen würden.
Man darf gespannt sein, ob und wie die Vorwürfe aufgeklärt werden. Als Aushängeschild der österreichischen Spitzengastronomie hat Filippou Erklärungsbedarf. Aber auch die Branche als Ganzes wäre schlecht beraten, zur Tagesordnung überzugehen und die Recherche als "Einzelfall" wegwischen zu wollen: Wer mit Köchen und Servicemitarbeitern spricht, weiß, dass vergleichbare Missstände aus zahlreichen, erst unlängst mit Michelin-Sternen bedachten Topbetrieben des Landes kolportiert werden.
Anderswo waren Berichte wie der nun vorliegende der Startschuss einer ganzen Reihe von Enthüllungen. Wenn die Fassade der österreichischen Topgastronomie als Hort bedingungsloser Qualität bröckelt, dann ist das für den Tourismusstandort ein echtes Problem – gerade in Zeiten der Krise.
Das Noma hat auf die Vorwürfe seinerzeit offen und schnell reagiert – Praktikanten werden nun bezahlt, es gibt fixe Arbeitszeiten. Solch eine offensive Strategie als Reaktion auf die Katastrophe hat seinerzeit auch dem österreichischen Weinbau neue Höhenflüge beschert. Man kann nur hoffen, dass Filippou (und jene, die es möglicherweise als Nächste erwischt) ähnlich klug beraten ist. (Severin Corti, 20.2.2025)