Studentenproteste: Serbischer Premier Vucevic tritt zurück
„Meine unwiderrufliche Entscheidung ist es, vom Amt des Ministerpräsidenten zurückzutreten“, sagte Vucevic bei einer Pressekonferenz. Er habe ein langes Treffen mit Präsident Aleksandar Vucic gehabt, dieser habe seine Argumente akzeptiert. Ein Angriff auf Studierende mit einer Verletzten in Novi Sad am Montagabend sei ausschlaggebend für Vucevics Entscheidung gewesen, zitierte die serbische Nachrichtenagentur Tanjug Vucevic.
Mehrere Studierende, die in Novi Sad Aufkleber anbrachten, waren von einer Truppe verprügelt worden. Die mit Baseballschlägern ausgerüsteten Männer waren aus den im Stadtzentrum gelegenen Büroräumen der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) gekommen. Eine Medizinstudentin wurde mit einem Kieferbruch und anderen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.
Vucevic war bis 2022 Bürgermeister von Novi Sad
Sein Rücktritt solle dazu beitragen, die Lage im Land zu entspannen, wie er sagte. Vucevic war seit Mai 2024 Ministerpräsident und zuvor von 2012 bis 2022 Bürgermeister von Novi Sad. In seiner Zeit als Bürgermeister hatten die Renovierungsarbeiten an dem Bahnhof begonnen, die nur wenige Monate vor dem Unglück abgeschlossen worden waren. „Es ist mein Appell an alle, die Leidenschaften zu beruhigen und zum Dialog zurückzukehren“, sagte er weiter. Laut Vucevic wird auch der Bürgermeister von Novi Sad, Milan Djuric, zurücktreten.
Von den Rücktritten zeigten sich die Studierenden unbeeindruckt. Neue Proteste sind bereits geplant. Am Samstag – drei Monate nach dem Unglück – soll es etwa in Novi Sad eine große Kundgebung geben.
Studierende blockierten Autobahnknoten in Belgrad
Erst am Montagvormittag hatten Tausende Studierende in Belgrad eine zentrale Zufahrt der Stadtautobahn blockiert, die Aktion an der Autobahnzufahrt Autokomanda dauerte 24 Stunden. Auf dem blockierten Gelände stellten die Demonstrierenden Zelte und Heizkörper auf, einzelne Gruppen begannen Fußball oder Schach zu spielen oder Tee zu kochen, berichteten serbische Medien.
Die Aktion fügte sich ein in die Welle von Protesten, mit denen Studierende aus ganz Serbien und andere Gruppen gegen den Umgang der Behörden mit dem Bahnhofsunglück demonstrieren. Das Unglück, bei dem 15 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt worden waren, hatte sich am 1. November des Vorjahres ereignet.
Die Studierenden verlangen die Bestrafung der Verantwortlichen, die vollständige Herausgabe aller Dokumente im Zusammenhang mit dem Umbau des Bahnhofs und seines Vordachs, die Freilassung von Aktivisten und Aktivistinnen und die Bestrafung von Gewalttätern, die mutmaßlich mit Rückendeckung der Regierung demonstrierende Studierende tätlich angegriffen und verletzt haben.
Neue Unterlagen aufgetaucht
Neuen Zündstoff dürften auch bisher nicht veröffentlichte Unterlagen zu den Renovierungsarbeiten am Bahnhofsvordach, die am Montag aufgetaucht waren, liefern: Darin ist auch der Name einer serbischen Firma zu lesen, die, wie es aussieht, bisher nicht mit der bereits erhobenen Anklage gegen 13 mutmaßlich für den Unfall verantwortliche Personen erfasst wurde. Das für die Anklage zuständige Gericht in Novi Sad ließ inzwischen aber wissen, dass die Anklage womöglich erweitert werde.
Ein Belgrader Geologe, der zeitweise für die Baukontrolle bei den Renovierungsarbeiten in Novi Sad zuständig war, hatte gefordert, dass das Vordach leichter sein müsste. Stattdessen war es um 20 Tonnen schwerer geworden, sagte der Ingenieur dem TV-Sender N1.
Problem für Machthaber Vucic
In Serbien bestimmt seit 2012 der zunehmend autokratisch regierende Präsident Vucic die Politik. Gegnerinnen und Gegner werfen ihm Korruption und Misswirtschaft vor. Die Teilnehmer der Proteste wegen des Unglücks in Novi Sad sind überzeugt, dass dessen Ursachen auf die Korruption und Schlamperei der Regierenden zurückzuführen sind.
Die Protestwelle zeigte bis zuletzt kein Anzeichen des Abebbens. Vielmehr drücken Angehörige von immer mehr Berufsgruppen, darunter Anwälte, Bauern, Universitätsprofessoren und Künstler, ihre Solidarität mit den Studierenden aus. Vucic und seine Gefolgsleute zeigen sich zunehmend nervös. Beobachterinnen und Beobachter sprechen von der schwersten Regierungskrise, die Serbien seit dem Sturz der Autokratie des Postkommunisten Slobodan Milosevic im Jahr 2000 durchläuft.
Ob es mit Vucevics Rücktritt nun zu Neuwahlen kommt, ist unklar. Von der Opposition wird nämlich zuvor die Bildung einer Übergangsregierung gefordert. Ihrer Vorstellung nach soll so ein schwerer Betrug wie bei der Parlamentswahl im Dezember 2023 verhindert werden. Die SNS lehnt das allerdings ab.