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Bundesregierung stoppt Zertifizierung von Nord Stream 2

Bundesregierung stoppt Zertifizierung von Nord Stream 2
Die Bundesregierung stoppt wegen der Eskalation des Russland-Ukraine-Konflikts vorläufig das Genehmigungsverfahren für die umstrittene Gast-Pipeline Nord Stream 2. Damit kann sie erst einmal nicht in Betrieb gehen.

Als Reaktion auf das russische Vorgehen gegenüber der Ukraine stoppt die Bundesregierung vorerst das Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bat das Bundeswirtschaftsministerium, das verwaltungsrechtliche Verfahren zur Genehmigung der Inbetriebnahme neu aufzurollen, wie er am Dienstag in Berlin sagte. "Ohne diese Zertifizierung kann Nord Stream 2 ja nicht in Betrieb gehen", fügte er hinzu. Zur Dauer des neuen Verfahrens sagte Scholz: "Das wird sich sicher hinziehen."

Russland hat "grundlegend" neue Situation geschaffen

Scholz begründete seine Entscheidung damit, dass Russland mit der Anerkennung der Separatisten-Gebiete im Osten der Ukraine eine "grundlegend" neue Situation geschaffen habe. "Deshalb müssen wir angesichts der jüngsten Entwicklungen diese Lage auch neu bewerten, übrigens auch im Hinblick auf Nord Stream 2", sagte er.

Ostsee-Pipeline auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt

Der Schritt des Kanzlers bedeutet, dass das Verfahren zur Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline nun auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt ist. Scholz bat das Bundeswirtschaftsministerium, die erst im vergangenen Herbst vorgelegte Analyse der Versorgungssicherheit im Zertifizierungsverfahren von Nord Stream 2 zurückzuziehen und neu zu bearbeiten.

Neue Bewertung der Versorgungssicherheit nötig

Das Vorliegen einer solchen Analyse ist aber eine vom Energiewirtschaftsgesetz vorgeschriebene Voraussetzung für das weitere Zertifizierungsverfahren, das bei der Bundesnetzagentur angesiedelt ist. Der im Oktober vom Bundeswirtschaftsministerium vorgelegte Bericht war zu dem Schluss gekommen, dass Nord Stream 2 die Gasversorgung der Bundesrepublik nicht gefährde. Das Zurückziehen dieses Berichts sei "der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann", sagte Scholz. Das Wirtschaftsministerium werde anhand der veränderten Gegebenheiten eine neue Bewertung der Versorgungssicherheit vornehmen.

USA, Großbritannien und die Ukraine loben die Entscheidung

Begrüßt wurde die Entscheidung, die Genehmigung von Nord Stream 2 vorerst auszusetzen, unter anderem von den USA, Großbritannien und der Ukraine. Die Sprecherin von US-Präsident Biden sagte, "wir standen die Nacht über in engem Austausch mit Deutschland und begrüßen diese Ankündigung". Biden habe klargemacht, dass man gemeinsam mit Deutschland handeln würde, um sicherzustellen, dass Nord Stream 2 nicht vorangehe, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba lobt die Entscheidung ebenfalls. "Das ist moralisch, politisch und praktisch der richtige Schritt unter den gegenwärtigen Umständen." Wahre Führung bedeute harte Entscheidungen in schwierigen Zeiten. Deutschlands Schritt beweise genau das.

Der stellvertretende polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kacynski übte allerdings auch Kritik an der grundsätzlich begrüßten Entscheidung. "Das ist besser als nichts, aber viel zu wenig. Man sollte einem aggressiven Staat keine Einnahmen verschaffen", sagte er.

Russland warnt vor hohen Gaspreisen in Europa

Der ehemalige Präsident Russlands und heutige stellvertretende Vorsitzende des russischen Nationalen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, warnte Europa allerdings angesichts des Genehmigungsstopps vor hohen Gaspreisen. "Na dann, willkommen in einer neuen Welt, in der die Europäer bald 2.000 Euro für 1.000 Kubikmeter Gas bezahlen werden." Ein Wert der deutlich über den heutigen Preisen für Erdgas liegt. Auch Vize-Außenminister Andrej Rudenko äußerte sich: die Regierung habe keine Angst und glaube nicht an Tränen, so Rudenko.

Die deutsche Gasbranche bedauert den Schritt ausdrücklich. Es seien bislang auch noch keine Anzeichen für Lieferengpässe aus Russland zu erkennen. "Von Seiten unserer Mitglieder hören wir aktuell keine Meldungen, dass Russland seine Verpflichtungen gegenüber den Vertragspartnern nicht erfüllt", sagte Timm Kehler, Geschäftsführer des Verbandes "Zukunft Gas". Russland sei in den vergangenen 50 Jahren - auch im Kalten Krieg - stets ein zuverlässiger Energielieferant gewesen.

Nicht äußern wollte sich dagegen die Betreibergesellschaft der Pipeline Nord Stream 2. "Wir können diese Nachrichtenmeldung nicht kommentieren und müssen entsprechende Informationen der Behörden abwarten", heißt es dort. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder ist Chef des Aufsichtsrates der Gesellschaft.

"Noch weitere Sanktionen" möglich

Für den Fall einer weiteren Eskalation stellte Scholz neue Sanktionen gegen Russland in Aussicht. Es gebe "noch weitere Sanktionen, die wir ergreifen können, falls es zu weiteren Maßnahmen kommt", sagte er.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Montag die Unabhängigkeit der Separatisten-Gebiete in der Ostukraine anerkannt. Dies sei "ein schwerwiegender Bruch des Völkerrechts", sagte Scholz. Putin breche damit nicht nur das Minsker Abkommen, sondern auch Grundprinzipien der Vereinten Nationen und "alle völkerrechtlichen Vereinbarungen", die Russland in den vergangenen Jahrzehnten eingegangen sei. Der russische Präsident wolle "möglicherweise die gesamte Ukraine" besetzen, sagte Scholz.

Diplomatische Kanäle sollten offen gehalten werden

Die internationale Gemeinschaft werde auf das russische Vorgehen "eng abgestimmt, gut koordiniert und zielgerichtet" reagieren, kündigte er an. Gleichzeitig mahnte Scholz, die diplomatischen Kanäle offen zu halten. "In dieser Phase ist es jetzt wichtig, neben ersten Sanktionen eine weitere Eskalation und damit eine Katastrophe zu verhindern", sagte er. "Darauf zielen alle unsere diplomatischen Anstrengungen."

Es seien aktuell sehr schwere Tage und Stunden für Europa, sagte Scholz. "Knapp 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges droht ein Krieg im Osten Europas. Es ist unsere Aufgabe, eine solche Katastrophe abzuwenden und ich appelliere erneut an Russland, dabei zu helfen."

Nord Stream 2 seit September fertig, aber nicht in Betrieb

Die umstrittene Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 war nach Angaben des russischen Gaskonzerns Gazprom im September 2021 fertiggestellt worden, sie ist noch nicht in Betrieb. Die Pipeline ist noch nicht zertifiziert, es fehlt die Freigabe durch die zuständigen Behörden. Dieser Vorgang ist seit Dienstag gestoppt. Der 1.230 Kilometer lange Doppelstrang führt vom westrussischen Wyborg nach Lubmin bei Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern). Seit Ende Dezember sind beide Stränge vollständig mit technischem Gas befüllt. Die Leitung, deren Bau 2018 begann, soll künftig 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Deutschland liefern, die Baukosten wurden bislang mit mehr als zehn Milliarden Euro angegeben.

Nord Stream 1 seit Ende 2011 in Betrieb

Nord Stream 2 läuft parallel zu Nord Stream 1, die Ende 2011 in Betrieb genommen wurde. Ihr Bau war 2005 vereinbart worden. Im Jahr 2021 waren nach Angaben des Betreiberkonsortiums Nord Stream AG gut 59 Milliarden Kubikmeter Erdgas transportiert worden, was eine nahezu hundertprozentige Auslastung bedeutete. Seit 2011 seien mehr als 441 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas nach Lubmin gelangt.

Internationale Projektgesellschaft bei Nord Stream 2

Die Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG mit Sitz im schweizerischen Zug ist eine Tochtergesellschaft des russischen Gasmonopolisten Gazprom. Zu den Pipeline-Investoren gehören die deutschen Konzerne Wintershall Dea und Uniper, die niederländisch-britische Shell, das österreichische Energieunternehmen OMV und Engie aus Frankreich.

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