Lecks an Nord-Stream-Pipelines: "Auf vorsätzliche Handlungen zurückzuführen"
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Stand: 28.09.2022 08:39 Uhr
Immer mehr Länder kommen zu der Einschätzung, dass die Lecks an den Nord-Stream-Pipelines durch einen vorsätzlichen Angriff entstanden sind. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen droht mit harten Konsequenzen für den möglichen Angreifer.
Die Gaslecks an den Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 sind nach Einschätzung der dänischen und schwedischen Regierungen das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung.
Die dänischen Behörden seien zu der eindeutigen Bewertung gekommen, dass es sich um absichtliche Taten handle und nicht um ein Unglück, sagte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Innerhalb kurzer Zeit seien mehrere Explosionen beobachtet worden. Es gebe noch keine Informationen dazu, wer dahinter stecke. Zu den Vorfällen sei es in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens vor der Ostseeinsel Bornholm gekommen, sagte Frederiksen.
Auch die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson sprach von Sabotage. Ihre Regierung sei in engem Austausch mit den Partnern der NATO, Dänemarks und Deutschlands.
Messstationen hatten seismische Aktivität registriert, bevor die Lecks an den beiden Pipelines in der Nähe der dänischen Insel Bornholm entdeckt wurden. Einem Seismologen zufolge hängt diese zweifelsfrei mit Explosionen zusammen. Die seismischen Daten machten es klar, dass die Explosionen im Wasser und nicht im Gestein unter dem Meeresboden stattfanden, sagte Björn Lund, Seismologe am Schwedischen Nationalen Seismischen Netzwerk der Universität Uppsala. So könne es sich um keine Erdbeben oder Erdrutsche handeln.
tagesschau24 10:00 Uhr, 28.9.2022
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sprach ebenfalls von einem gezielten Angriff. Man wisse inzwischen sicher, "dass sie nicht durch natürliche Vorkommnisse oder Ereignisse oder Materialermüdung entstanden sind, sondern dass es wirklich Attacken auf die Infrastruktur gegeben hat", so der Grünen-Politiker bei einer Veranstaltung von Spitzenverbänden der Wirtschaft.
Der dänische Verteidigungsminister Morten Bødskov wollte am Mittwoch nach Brüssel reisen und dort mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg über die Lecks sprechen. Dieser sagte, die NATO beobachte die Lage "sehr genau". Man sei in engem Kontakt mit den NATO-Alliierten sowie Schweden, das Bündnismitglied werden will.
Von der Leyen droht mit "härtesten Konsequenzen"Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält Sabotage als Ursache für möglich. Auf Twitter schrieb von der Leyen, sie habe mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen über die "Sabotageaktion" gesprochen. Jetzt sei es von "größter Wichtigkeit", die Vorfälle zu untersuchen und vollständige Klarheit über die Ereignisse und die Gründe zu erhalten.
Von der Leyen drohte den möglichen Tätern außerdem mit "härtesten Konsequenzen". Sie schrieb, jede vorsätzliche Störung der aktiven europäischen Energieinfrastruktur sei "inakzeptabel".
Medienbericht: CIA warnte Berlin schon im SommerDer polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki sagte, "wir kennen heute noch nicht die Details dessen, was da passiert ist, aber wir sehen deutlich, dass ein Sabotageakt vorliegt". Auch der Betreiber von Nord Stream 2 sagte: Die Leitungen seien so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer Leitungen etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich ist. In Moskau will die Regierung einem Sprecher zufolge dagegen keine Variante ausschließen.
Die Vereinigten Staaten haben einem Medienbericht zufolge die Bundesregierung bereits vor Wochen vor möglichen Anschlägen auf Gaspipelines in der Ostsee gewarnt. Wie der "Spiegel" berichtet, ging ein entsprechender Hinweis des US-Geheimdienstes CIA im Sommer in Berlin ein. Ein Regierungssprecher teilte dem Magazin mit, man nehme zu "Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten der Nachrichtendienste betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung."
Das für die hiesigen Pipeline-Abschnitte zuständige Bergamt Stralsund sieht derweil keine unmittelbare Gefahr einer Lageverschärfung: "Eine weitere Schadensausbreitung dürfte aus technischer Sicht - nach gegenwärtigem Stand - unwahrscheinlich sein", teilte die Behörde mit. Der Druck in den Leitungen habe sich entsprechend der Wassertiefe auf einem niedrigen Niveau eingestellt.
Karte mit der Nordstream Pipeline, Russland, Deutschland, Dänemark, Schweden und Bornholm
Der norwegische Militärwissenschaftler und Marineoffizier Tor Ivar Strömmen hält einen russischen Sabotageakt für die wahrscheinlichste Erklärung für die Lecks. "Ein Leck an drei verschiedenen Orten mit so großer Entfernung dazwischen kann nur die Folge eines vorsätzlichen Akts oder von Sabotage sein", sagte Strömmen der Nachrichtenagentur AFP.
Zugleich komme einzig Russland für ihn als Verantwortlicher infrage. "Lecks an Gaspipelines sind extrem selten", sagte Strömmen weiter. Die Nord-Stream-Leitungen seien zudem recht neu, im Fall von Nord Stream 2 sogar sehr neu. Da bleibe eigentlich nur Sabotage als Erklärung. "Ich sehe nur einen möglichen Akteur und das ist Russland", führte der Offizier aus.
Moskau wolle die Verantwortung für die Einstellung seiner Gaslieferungen nicht übernehmen. Dasselbe Muster sei schon zu beobachten gewesen, als von russischer Seite der Betrieb von Nord Stream 1 unter Verweis auf nötige Wartungsarbeiten eingestellt wurde. "In Wirklichkeit geht es bei all dem um die Nutzung von Energie als Waffe", sagte Strömmen weiter. Russland versuche, die europäischen Länder zu verunsichern. "Ziel ist es, Europa zu spalten und es dazu zu bringen, Druck auf die Ukraine auszuüben, um einen Waffenstillstand oder einen Frieden zu den von den Russen gewünschten Bedingungen zu erreichen."
Christian Blenker, ARD Stockholm, tagesschau 20:00 Uhr, 27.9.2022
Die Folgen der Lecks sind an den Energiemärkten bereits zu spüren. Der Preis für europäisches Erdgas ist deutlich gestiegen und hat die Marke von 200 Euro überschritten.
Deutsche und dänische Behörden wiesen darauf hin, dass die Vorfälle keine Auswirkung auf die Gasversorgung hätten, da die Leitungen zuletzt nicht für den Gasimport benutzt worden seien. Während über Nord Stream 1 bis vor einigen Wochen noch Gas aus Russland nach Deutschland geflossen war - wenn auch mit gedrosselter Kapazität -, war die Genehmigung für Nord Stream 2 kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine von der Bundesregierung auf Eis gelegt worden. Danach hatte sie wegen des Ukraine-Krieges eine Nutzung ausgeschlossen.
Die Bundesnetzagentur verwies darauf, dass die Befüllung der Gasspeicher kontinuierlich weitergehe. "Die Ereignisse ändern die Versorgungssituation nicht", sagte ein Sprecher. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Bund für Umwelt und Naturschutz sehen kurzfristig wenig Umweltrisiken. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner forderte, das noch vorhandene Erdgas möglichst schnell abzupumpen, um eine Reparatur zu ermöglichen. Hierzu müsse man mit russischen Stellen sprechen.
Kai Küstner, ARD Berlin, 27.9.2022 · 05:27 Uhr