Putin und Biden stimmen Gipfeltreffen zur Ukraine-Krise zu
Kiew/Moskau/Washington – US-Präsident Joe Biden und sein russischer Kollege Wladimir Putin haben laut Informationen Frankreichs einem von Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagenen Gipfeltreffen im Ukraine-Konflikt grundsätzlich zugestimmt. Das Treffen könne aber "nur stattfinden, wenn Russland nicht in die Ukraine einmarschiert", hieß es am Sonntagabend, nachdem Macron zuvor mit Biden und Putin telefoniert hatte. Einen Termin gab es zunächst nicht.
Das Treffen vorbereiten sollen die Außenminister Antony Blinken und Sergej Lawrow bei ihrem Treffen diese Woche in Genf (nach verschiedenen Angaben am Mittwoch oder Donnerstag, Anm.). Demnach schlug Macron im Anschluss an die direkten Gespräche zwischen Biden und Putin ein Gipfeltreffen "mit allen Beteiligten" vor. Dabei soll es um die "Sicherheit und strategische Stabilität in Europa" gehen. Der Westen ist angesichts einer russischen Truppenansammlung an der Grenze zur Ukraine besorgt.
Biden habe dem Treffen "grundsätzlich" unter der Bedingung zugestimmt, dass es nicht zu einer Invasion Russlands in der Ukraine komme, bestätigte das US-Präsidialamt. "Wir sind immer bereit zur Diplomatie", sagte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki. "Wir sind aber auch bereit, schnelle und harte Konsequenzen zu ziehen, sollte sich Russland stattdessen für einen Krieg entscheiden."
Der Kreml zeigt sich grundsätzlich offen für einen Gipfel zwischen Putin und Biden. "Selbstverständlich schließen wir es nicht aus", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. "Es gibt soweit keine konkreten Pläne dazu." Putin berief außerdem den russischen Sicherheitsrat ein.
EU berätDie Außenminister der EU-Staaten beraten am Montag in Brüssel über die jüngsten Entwicklungen im Ukraine-Konflikt. Zu einem gemeinsamen Frühstück mit den Ministern wird auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erwartet. Die Ukraine fordert von der EU rasch zu handeln. "Sanktionen sind eine Reaktion, wie eine Art Bestrafung, das kann und sollte man nicht im Vorfeld machen", sagte Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg am Montag vor dem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen.
Zu wenig Aufmerksamkeit bekommen nach Meinung Schallanbergs die jüngsten Entwicklungen in Belarus. "Im Schatten des Russland-Ukraine-Konflikts sehen wir mehr oder weniger eine Annexion von Belarus", sagte der Außenminister. Belarus und Russland halten seit zehn Tagen gemeinsam ein großes Militärmanöver ab. Präsident Alexander Lukaschenko habe "zu einem gewissen Grad die Souveränität" des Landes abgegeben. "Ich habe Zweifel daran, dass die Russen jemals wieder Belarus verlassen werden."
"Massive Konsequenzen"EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterstrich unterdessen ebenfalls die Drohung des Westens, dass Russland im Fall eines Angriffs auf die Ukraine "massive Konsequenzen" zu erwarten hat. Zum angedachten Sanktionspaket sagte sie am Sonntag in einem Interview der ARD-Sendung "Anne Will": "Die Finanzsanktionen bedeuten für den Kreml, dass wenn sie militärische Aggressionen gegen die Ukraine fahren, Russland im Prinzip abgeschnitten wird von den internationalen Finanzmärkten." Und die Wirtschaftssanktionen beträfen auch "alle die Güter, die Russland dringend braucht, um seine Wirtschaft zu modernisieren und zu diversifizieren, die aber von uns hergestellt werden, wo wir globale Dominanz haben und die Russland nicht ersetzen kann". Russland habe eine klare Schwachstelle, das sei seine Wirtschaft, "die im Prinzip fast ausschließlich ausgerichtet ist auf die alten fossilen Brennstoffe, Energieträger, nämlich Öl, Kohle und Gas".
Von der Leyen sprach sich zugleich dagegen aus, die Sanktionen bereits jetzt zu verhängen, wie von der Ukraine angesichts der jüngsten Eskalation gefordert. Vor dem Hintergrund der Russland-Ukraine-Krise äußerte sie aber auch Zweifel an der Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland. Mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte von der Leyen: "Es wird für ihn nicht einfach sein, auch seiner Bevölkerung zu erklären, warum er die Ukraine angreift und warum er sehenden Auges diese massiven Konsequenzen für Russland in Kauf nimmt."
Russland stationiert weitere TruppenNeue Satellitenbilder zeigen indes neue militärische Aktivitäten in Russland nahe der Grenze zur Ukraine. Das in den USA ansässige Unternehmen Maxar Technologies meldete die Stationierung von weiteren Truppen und Panzerausrüstung an mehreren Orten entlang der Grenze. Das stelle eine Änderung in der Struktur der zuvor beobachteten Stationierung von russischen Kampfeinheiten dar, hieß es.
Den USA liegen Medienberichten zufolge zudem Geheimdienstinformationen vor, wonach Moskau seinem Militär an der Grenze zur Ukraine den Befehl gegeben haben soll, mit Einmarschplänen fortzufahren. Diese Information von voriger Woche soll Biden am Freitag zu der Aussage veranlasst haben, dass Putin die Entscheidung zum Angriff getroffen habe, berichteten die "New York Times" und der Sender CBS am Sonntag.
Soldaten in KampfformationDer Befehl bedeute aber nicht, dass eine Invasion sicher sei, da Putin seine Meinung immer noch ändern könne. Die Geheimdienstinformationen sollen auch zeigen, dass 40 bis 50 Prozent der mehr als 150.000 russischen Soldatinnen und Soldaten an der ukrainischen Grenze sich in Kampfformation begeben hätten und innerhalb weniger Tage einen Angriff starten könnten, schrieb die "New York Times".
Bei einigen Truppen soll es sich um russische Reservisten handeln, die nach einer Invasion eine Besatzungstruppe bilden könnten. Die Beamten haben der Zeitung zufolge keine weiteren Details zu den Informationen genannt, lediglich dass diese vertrauenswürdig seien.
USA bereiten Sanktionen vorDie US-Regierung bereitet ein erstes Paket von Sanktionen gegen Russland vor, sollte es zu einem Krieg kommen. Unter anderem soll es US-Finanzinstituten untersagt werden, Transaktionen für große russische Banken abzuwickeln. Das gaben drei Personen an, die mit der Sache vertraut sind. Bislang waren die "Korrespondenz"-Bankbeziehung – die Grundlage für internationale Geldströme – noch nicht als Teil möglicher Sanktionen genannt worden.
Biden war am Sonntag mit seinem Nationalen Sicherheitsrat zusammengekommen. Es seien die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit Russlands militärischer Aufrüstung an der Grenze zur Ukraine erörtert worden, hieß es. Weitere Angaben machte das Weiße Haus nicht. Biden kündigte am Sonntagnachmittag kurzfristig an, in den Bundesstaat Delaware zu fahren, wo seine Familie wohnt. Nur kurze Zeit später änderte er die Pläne überraschend und wollte doch in Washington bleiben. Gründe nannte das Weiße Haus nicht.
USA warnen vor gezielten TötungenZudem erwarten die USA schwere Menschenrechtsverletzungen im Fall eines russischen Einmarschs. "Insbesondere haben wir glaubwürdige Informationen, die darauf hindeuten, dass die russischen Streitkräfte Listen mit identifizierten Ukrainern erstellen, die nach einer militärischen Besetzung getötet oder in Lager geschickt werden sollen", schrieb die UN-Botschafterin der USA in Genf, Bathsheba Nell Crocker.
Sie äußerte sich in einem Brief an die UN-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die USA haben demnach Geheimdienstinformationen darüber, "dass die russischen Streitkräfte wahrscheinlich tödliche Maßnahmen anwenden werden, um friedliche Proteste aufzulösen". Die USA legten ihre Quellen für die Informationen nicht offen.
Telefonate auf höchster EbeneAm Sonntag fanden in der Sache Telefonate auf höchster Ebene statt: Macron telefonierte gleich zweimal ausführlich mit Putin und tauschte sich mit Biden und anderen Verbündeten aus. Der britische Premier Boris Johnson und Macron hielten gemeinsam fest, dass Putin seine Truppen von der ukrainischen Grenze abziehen und seine Drohungen einstellen müsse. Nach einem ersten Gespräch mit Putin am Vormittag, in dem beide um Schritte zu einem Waffenstillstand in der Ostukraine und Wege für Diplomatie gerungen hatten, telefonierte Macron zunächst mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Im Anschluss beriet Macron telefonisch mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz, Biden sowie Johnson. Am späten Abend telefonierte Macron ein zweites Mal mit Putin. Während ihre erste Unterredung eine Stunde und 45 Minuten gedauert hatte, redeten die beiden am Abend nach Élysée-Angaben erneut eine Stunde miteinander. Danach folgte ein weiteres Gespräch Macrons mit Biden. (red, APA, 21.2.2022)