Vor neuer Angelobung: Van der Bellen weiter auf Distanz zu Kickl

Er werde „eine antieuropäische Partei, eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, nicht durch meine Maßnahmen noch zu befördern versuchen“, sagte Van der Bellen Mittwochabend in der ORF-Sendung „20 Fragen“. Er lege den Amtseid nicht nur auf die Verfassung ab, sondern sei auch seinem Gewissen verpflichtet.
Die Frage, ob das heiße, dass er Kickl, auch wenn die FPÖ bei der Nationalratswahl Erste wird, nicht automatisch mit der Regierungsbildung beauftragen würde, reichte der Bundespräsident weiter – mit den Worten, man möge Kickl und nicht ihn fragen, „ob es richtig war, gegen sein eigenes Haus, gegen das Innenministerium, eine Razzia zu machen, die zu nichts geführt hat, außer dass die ausländischen Intelligence-Dienste jedes Vertrauen in Österreich verloren haben und und und. Fragen Sie ihn, nicht mich.“
Susanne Schnabl (ORF) und Hanno Settele (ORF) besuchen den Bundespräsidenten und stellen ihm dabei 20 sehr unterschiedliche Fragen. Wie will der neue alte Bundespräsident seine zweite Amtszeit anlegen, was sagt er zum Zustand des Landes und zur Verfasstheit der Politik nach und inmitten noch nie da gewesener Krisen, was erwartet er sich, welche Rolle will er dabei einnehmen und wie hat ihn das Amt als Mensch nach den ersten sechs Jahren verändert? Schnabl und Settele bringen dafür ihr eigenes, mobiles und minimalistisches Studio mit in die Hofburg, denn nichts soll von ihrem Gespräch ablenken – weder die imperiale Atmosphäre noch Studiomöbel oder herumfahrende Kameras.
„Streng genommen“ stehe in der Verfassung nicht, dass die stimmenstärkste Partei den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten müsse. Aber es stehe drinnen, dass der Bundespräsident den Kanzler ernennt – und zwar in seiner „höchstpersönlichen Entscheidung“. Dafür brauche er keinen Vorschlag, das sei „einer der ganz, ganz wenigen Punkte, in denen der Bundespräsident frei ist in seiner Entscheidung“.
„Ja sicher, das hat sich ja anhand der Chatprotokolle herausgestellt“, sagte Van der Bellen auf die Frage, ob Österreich ein Korruptionsproblem hat. Er mahnte nicht nur die gesetzliche Schritte ein – die Koalitionseinigung zum Lückenschluss im Strafrecht begrüßte er –, sondern auch eine „Änderung der Haltung“. Die in den Chatprotokollen sichtbar gewordene „Freunderlwirtschaft“ – „wie wir das so beschönigend in Österreich nennen“ – müsse „wirklich aufhören, das ist ein Gift“.
Die Regierung sollte diskutieren, was man vom Antikorruptionsvolksbegehren noch umsetzen kann bis zur Wahl. Er selbst hätte bei „diesen Chatgeschichten“ mehr kommunizieren sollen, räumte Van der Bellen ein. Da sei „nicht ganz zu Unrecht der Eindruck entstanden ich halte mich zu sehr zurück“.
Verhältnis zu KanzlernAuch um das Verhältnis des Bundespräsident zu den Regierungsspitzen ging es. Mit ÖVP-Ex-Kanzler Sebastian Kurz – der ja „berühmt, manche sagen berüchtigt war für seine Versuche der Message Control“ – habe er einige Auseinandersetzungen gehabt, aber „da soll man nicht empfindlich sein, das gehört zur Politik“. Mit dem jetzigen Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) habe er „sehr gutes Arbeitsverhältnis entwickelt im Laufe der Zeit“.
Durchaus positiv beurteilte Van der Bellen die von der ÖVP-Grün-Koalition geleistete Arbeit zur Linderung der Krisenfolgen. Da sei die Regierung „nicht untätig“ gewesen, deshalb seien auch bei Beginn des Ukraine-Kriegs befürchtete Katastrophen – Gas- und Strommangel, nicht Heizen können etc. – nicht eingetreten. Nicht gelungen sei allerdings die Kommunikation der zahlreichen Maßnahmen, mit denen die Teuerungsfolgen abgefedert wurden.
Tempo 100 „wirklich zumutbar“Emotional zeigte sich Van der Bellen in Sachen Klimakrise. Er forderte nicht nur vehement mehr Tempo bei Gegenmaßnahmen ein, sondern trat auch scharf jenen entgegen, die Aktivisten und Aktivistinnen als „Terroristen“ bezeichnen – ohne die FPÖ zu nennen. Dies zu tun sei eine „Geschmacklosigkeit erster Güte“, denn „diese Leute verwenden Klebstoff, ein Terrorist verwendet Sprengstoff“. Auch der von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) im Vorfeld der niederösterreichischen Landtagswahl erhobenen Forderung nach höheren Strafen für Blockaden trat Van der Bellen klar entgegen: „Das finde ich weit über das Ziel schießend.“ Für „wirklich zumutbar“ hielte er Tempo 100 auf der Autobahn.
FPÖ-Chef Kickl reagierte umgehend via Facebook. Offenbar solle nicht der Wählerwille in Sachen Regierungsbildung entscheiden, „sondern die persönliche Willkür einer einzelnen Person“, postete er. Und wandte sich gegen die kritischen Anmerkungen des Bundespräsidenten zur FPÖ: „Um moralisch zu sein, genügt es, den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu verurteilen. Alle anderen Angriffskriege sind offenbar gar kein Problem“, schrieb Kickl, sowie: „Und zur EU darf man nur freundlich sein, sonst ist man ein Europafeind.“
Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle spricht über das Interview mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, in welchem er sich klar auf Distanz zu FPÖ-Chef Herbert Kickl zeigt.
Am Donnerstag sind rund 1.000 Menschen in den historischen Sitzungssaal des Parlaments eingeladen, der Zeremonie der Angelobung van der Bellens beizuwohnen. Der Bundespräsident wird dabei auch selbst rund 20 Minuten eine Rede an die Gäste richten. Neben ihm kommen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und der Vorsitzende des Bundesrats, Günter Kovacs (SPÖ), zu Wort.
Im Anschluss an den parlamentarischen Teil wird es für den Oberbefehlshaber des Bundesheers einen militärischen Festakt mit Flaggenparade und Totengedenken am Heldenplatz geben. Fortgesetzt werden die Feierlichkeiten mit einem Empfang von Van der Bellens Heimatbundesland Tirol.