Silber für Deutschlands Handball-Nationalteam bei Olympia 2024
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Rien ne va plus in Lille. Nichts ging mehr am Ende des olympischen Handballturniers für die deutsche Mannschaft. Ihr war am Sonntag die Puste ausgegangen nach einem mehr als zweiwöchigen und überaus spektakulären Lauf ins Finale, der alle Beteiligten reichlich Kraft und Nerven gekostet hatte. Ein paar Prozent hier und da weniger, damit ließe sich vielleicht gegen einige Gegner gerade so über die Runden kommen.
Aber nicht gegen Dänemark, das herausragende Team des olympischen Turniers und die beste Mannschaft der Welt. Somit fand die junge Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB), als Gruppe olympischer Gesellen angereist, in den Dänen letztlich ihren Großmeister. Die Mannschaft von Bundestrainer Alfred Gislason verlor das Finale zwar 26:39, durfte sich am Ende aber mehr über Silber freuen als über mangelndes Gold grämen.
Nach einem bärenstarken Turnier steht sie nun in einer Reihe mit den DHB-Olympiaauswahlen von 1984 und 2004, die in Los Angeles und Athen ebenfalls jeweils Zweite wurden. Der versilberte Sonntag ist zudem eine Verheißung, was Gislasons junge Mannschaft in Zukunft womöglich noch zu leisten imstande ist.
Eine Nummer zu groß
Die Dänen gewannen zum zweiten Mal nach 2016 Gold, sodass sich ihr langjähriger wie langmähniger Topstar Mikkel Hansen mit einem weiteren Triumph zufrieden in den Handballruhestand verabschieden konnte.
An den Bestmarken des dreimaligen Welthandballers können sich nun seine Nachfolger abarbeiten. Ob es jemandem gelingt, Hansens olympischen Rekord von 194 Treffern zu übertrumpfen? Vielleicht seinen Landsleuten Mathias Gidsel (62) oder Simon Pytlick (54), die beiden besten Schützen und Vorbereiter des olympischen Turniers, oder gar Renars Uscins, der am Sonntag vier Mal erfolgreich war und mit insgesamt 52 Toren zum besten deutschen Werfer wurde.
Am Ende erwies sich die „beste Handball-Nationalmannschaft der Welt“, wie DHB-Kapitän Johannes Golla die Dänen bezeichnete, als mindestens eine Nummer zu groß. Schon in den ersten Minuten mussten die Deutschen zusehen, wie die Angriffe des EM-Zweiten auf sie zurollten, ohne dass sie viel dagegen ausrichten konnten. Auch Torhüter Andreas Wolff kam nicht an die Bälle. Die Deutschen beeindruckt, die Dänen beflügelt – unter diesen Voraussetzungen nahm das Finale schnell eine Richtung, die zwar nicht unerwartet kam, aber so schnurstracks nun auch überraschend war.
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Bis zum 5:6 nach fünf Minuten schien noch ein deutscher Ausweg möglich. Doch weil vorne die Zuspiele an den Kreis nicht klappten und zudem der Favorit zelebrierte, wie viel individuelle Klasse in ihm steckt, wurde aus dem knappen Rückstand binnen einer Viertelstunde ein sehr deutlicher (9:19/23. Minute).
Vor dem Finale hatte Rückraumspieler Pytlick unbedingt „die hohen Standards“ tiefer legen wollen. Man könne doch nicht davon ausgehen, in Finals mit zehn Toren Differenz zu gewinnen, hatte der Rückraumspieler von der SG Flensburg-Handewitt gesagt, nachdem sich die Dänen in den K.-o.-Spielen schwergetan hatten.
Nun ja, gegen die DHB-Auswahl lagen die Skandinavier nach 25 Minuten sogar mit elf Treffern vorne (21:10) – und am Ende betrug der Vorsprung sogar 13. Wie groß der Unterschied in puncto individueller Klasse, Kraft und Konzentration war, offenbarten die Versuche hüben wie drüben, Kabinettstückchen zu zeigen: Als Dänemarks Spielmacher Rasmus Lauge hinter seinem Rücken und ohne Hinzuschauen den Kollegen Magnus Jacobsen anspielte, ging der Ball danach ins deutsche Tor. Als Uscins nur wenige Sekunden später auf Halblinks das gleiche probierte, landete der Ball am Mitspieler vorbei im Seitenaus.
Angesichts des deutlichen Rückstands ließ Gislason seine Mannen rotieren, doch auch andere Formationen bekamen keinen Zugriff mehr aufs Spiel. Am Ende hatten die Deutschen genau die Medaille, die sie sich in den zwei Wochen von Paris und Lille verdient hatten. „Dass wir so weit sind mit einer jungen Mannschaft, das macht uns alle in der Liga sehr stolz“, sagte Bundestrainer Gislason in Lille.
Für den besonderen Charakter der DHB-Auswahl sprach auch, dass sie verletzungsbedingte Ausfälle wie von Franz Semper und Tim Hornke wegstecken konnte und fast das komplette Turnier ohne einen Rechtsaußen spielte, der diese Position von der Pike auf gelernt hat. Allrounder Christoph Steinert musste rechts ran – und kam bei Olympia letztlich auf so viel Spielzeit wie kein Anderer. „Jeder war extrem dankbar, dass er Teil dieser Gruppe und dieses Events sein durfte“, sagte Spielmacher Juri Knorr.
Gislasons Jungspunde schlugen nicht nur den Angstgegner Schweden und die Slowenen, sondern bezwangen auch Bronzemedaillengewinner Spanien (23:22 im Spiel um Platz drei gegen Slowenien) oder die scheinbar übermächtigen Franzosen in den vergangenen Wochen jeweils zwei Mal. Beim Posieren fürs Abschlussfoto am Sonntag schaute aber niemand glücklich drein.