Prozess gegen Hebamme um tragischen Kindstod nach Hausgeburt
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Gerichtsreportage
Eine unbescholtene 42-Jährige soll schuld am Tod einer Neugeborenen sein, da sie das Risiko falsch eingeschätzt und zu spät gehandelt habe
Reportage
/Michael Möseneder
17. Februar 2025, 15:28

Wien – In einem Punkt sind sich alle Prozessbeteiligten einig: Dass ein neugeborenes Mädchen im vergangenen Herbst nach nicht einmal einer Woche auf der Welt verstarb, sei "ein tragischer Fall", ein "tragisches Ereignis", betonen der Staatsanwalt ebenso wie der Verteidiger und der Richter. Grundlegend unterschiedlich sind die Sichtweisen, ob die 42-jährige Frau W. daran schuld ist. Sie war die Hebamme bei der Hausgeburt, aus Sicht der Anklagebehörde hat sie sich der grob fahrlässigen Tötung schuldig gemacht, was sie und ihr Anwalt Matthias Cernusca bestreiten.
Der Verhandlungssaal, in dem Fotografierverbot herrscht, ist zum Bersten voll, viele Berufskolleginnen der Angeklagten sind gekommen, zum Teil sitzen sie auf dem Boden, um die Vorgänge zu verfolgen. Der Großteil scheint aufseiten der unbescholtenen Frau, die seit 2007 als Hebamme tätig ist und 30 bis 35 Geburten im Jahr begleitet, zu stehen. So wie auch die Mutter des verstorbenen Mädchens, in deren Namen sogar eine schriftliche Stellungnahme ausgeteilt wird. "Ich mache meiner Hebamme keinen Vorwurf. Sie trägt keine Schuld am Tod unserer Tochter", liest man darin.
Zwei Gutachten belasten Angeklagte
Die beiden gerichtlichen Sachverständigen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Barbara Maier und Horst Steiner, sehen das anders. W. habe im vergangenen Herbst nicht "lege artis" gehandelt, sowohl bei der Planung als auch der Geburt selbst fachliche Fehler begangen und schließlich zu spät den Transport der Gebärenden in ein Krankenhaus veranlasst, weshalb das Mädchen aufgrund einer Sauerstoffunterversorgung gestorben sei.
Der Prozess dreht sich um die Frage, ob die Angeklagte im Vorfeld das Risiko von Komplikationen richtig eingeschätzt hat und während der Geburt selbst besser hätte entscheiden müssen. Für die 38-jährige Schwangere war es das zweite Kind: Das erste kam im Spital durch einen Kaiserschnitt zur Welt, nachdem es zu Schwierigkeiten gekommen war – für die Deutsche offenbar ein traumatisierendes Erlebnis. "Mir war es wichtig, eine Geburt in meinem Tempo erleben zu können", erklärt sie als Zeugin, warum sie eine Hausgeburt wollte.
Sie habe nach dem ersten Kind "viele Sachen erkannt, die mir als Frau nicht gutgetan haben", kritisiert sie unter anderem das Geburtsspital wegen angeblich zu niedriger Zimmertemperaturen. Dass ihr bei der zweiten Schwangerschaft sowohl dieses Krankenhaus als auch ein weiteres "dringend" von einer Hausgeburt abgeraten hatten, da das Risiko zu hoch sei, habe sie zwar registriert. Aber: "Im Großen und Ganzen war die Aufklärung meist Angstmacherei", ist sie überzeugt.
Für Hebamme "keine Hochrisikopatientin"
Angeklagte W. sah weniger Probleme. "War das kein Warnsignal für Sie, wenn davon abgeraten wird?", will Richter Martin Kampitsch von ihr wissen. "Schauen Sie, die Krankenhäuser raten fast immer von einer Hausgeburt ab", bescheidet sie. Die 38-Jährige sei für sie "keine Hochrisikopatientin" gewesen, sie habe auch ihre Masterarbeit an einer Fachhochschule zu diesem Thema geschrieben. Dass europäische Leitlinien sich in so einer Konstellation gegen Hausgeburten aussprechen, kommentiert die Angeklagte mit: "Leitlinien sind keine Gesetze."
Sie sei mit einer zweiten Hebamme in den frühen Morgenstunden gerufen worden, um 11.30 Uhr dokumentierte sie schriftlich einen "langsamen Geburtsverlauf". Um 13.45 Uhr nahm sie ihrer Darstellung nach erstmals "suspekte Herztöne" beim Ungeborenen wahr, um 13.54 Uhr verständigte sie die Rettung, um 14.30 Uhr war die Frau im Spital, wo um 14.37 Uhr das Mädchen mittels Zangengeburt zur Welt kam.
Notruf zu spät abgesetzt?
Aus Sicht der Sachverständigen hätte bereits um 11.30 Uhr die Rettung verständigt werden müssen. Der zweite Vorwurf: Angesichts des Risikos hätte begleitend eine Kardiotokografie (CTG) durchgeführt werden müssen, bei der Herzfrequenz des Ungeborenen und Wehen der Mutter überwacht werden. "Bei Hausgeburten verwenden wir kein CTG", erklärt die Angeklagte dazu. Sachverständiger Steiner ist überzeugt, dass damit Probleme rechtzeitig erkannt worden wären und das Kind überlebt hätte.
Der Richter sieht das im Endeffekt ebenso und verurteilt W. wegen grob fahrlässiger Tötung zu 15 Monaten bedingter Haft. Während der Anklagevertreter damit einverstanden ist, erbittet die 42-Jährige sich drei Tage Bedenkzeit, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 17.2.2025)
Das verurteilte Delikt im Strafgesetzbuch:
Grob fahrlässige Tötung
§ 81. (1) Wer grob fahrlässig (§ 6 Abs. 3) den Tod eines anderen herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
Weitere Prozessberichte finden Sie in der Rubrik Gerichtsreportagen.