Viel Farbe, viel Düsternis: Van Gogh und Matthew Wong in der ...
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Jede Person, die mit künstlerischer Absicht einen Farbklecks auf einer Leinwand hinterlässt, weiß: Hinter dieser dünnen Membran lauert die gesamte Kunstgeschichte. Jede neue Markierung, jedes Motiv tritt in Bezug zu den Abermillionen Ideen und Formen, die zuvor da waren.
Man kann diesen Umstand als erdrückende Last oder als erbitterten Konkurrenzkampf sehen, aber auch als erhellenden Dialog, der jenen, die daran teilhaben – idealerweise sind es nicht nur Künstler, sondern auch Betrachter – das Gefühl gibt, an etwas Größerem, Überzeitlichem zu partizipieren.
Dialog abseits der Worte
Dass es dem chinesisch-kanadischen Maler Matthew Wong an einem solchen Zwiegespräch gelegen war, verheißt schon das Gemälde namens „Dialogue“, das relativ am Beginn der umfangreichen Ausstellung mit dem Untertitel „Letzte Zuflucht Malerei“ in der Basteihalle der Albertina zu sehen ist. Mit einem Spalier aus schwarz-weiß gefleckten Birken, in dem sich zwei miniaturhafte Menschlein verstecken (das unten gezeigte Bild, "Kingdom", ist ein ähnliches Motiv), erinnert das Werk allerdings mehr an die Wienerwald-Ansichten von Gustav Klimt als an Vincent van Gogh, der das eigentliche Zugpferd der Ausstellung ist: Diese wurde vom Van-Gogh-Museum Amsterdam entwickelt und ist nach einer Station in Zürich nun bis 19. 6. in Wien zu sehen.
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Die verbindende Erzählung besagt, dass Wong und van Gogh verwandte Seelen waren: Beide nutzten die pure Kraft der Farbe, um einer eigenen Wirklichkeit Ausdruck zu verleihen. Beide schufen ihr Werk innerhalb weniger Jahre in einem obsessiven Schaffensdrang – und beide hatten mit psychischen Problemen zu kämpfen. Van Gogh verübte 1890 im Alter von 37 Jahren Selbstmord, Wong schied 2019 aus dem Leben, er war 35 Jahre alt.
Melancholie
Die farbenfrohe Anmutung, die weite Teile der Ausstellung trägt, bekommt durch dieses Wissen einen Knick, die Melancholie von Wongs Bildern – die Menschlein darin wirken verloren, oft führt irgendein Weg in die Ferne – wird erkennbar.
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Dass auch van Gogh sich im Dialog mit Vorgängern wähnte, zeigen in der Schau Originalgemälde wie das „Schneebedeckte Feld mit Egge (nach Millet)“ aus dem Van-Gogh-Museum (1890). In vielem steht Wongs Schnellmalerei, die viel stärker auf den Effekt von Fläche und Format baut, aber auch im Kontrast zu der feinnervigen Pinselschrift des Niederländers. Vieles ist näher an Matisse, den der Künstler ebenso verehrte, auch asiatische Einflüsse finden sich. Doch es ist die van-Gogh-Analogie, die unweigerlich ein Schlaglicht auf die Dynamiken der Kunstwelt wirft.
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Geschichte der Zukunft
Denn selbst wenn es zynisch klingen mag: die Erzählung von der gequälten Künstlerseele ist schlicht auch eine packende Geschichte. Und so ein möglicher neuer van Gogh trägt für eher ökonomisch orientierte Kunstfreunde ein ordentliches Renditeversprechen mit sich. Während der Niederländer bekanntlich zu Lebzeiten darbte, wurde Wong in Asien wie auch in den USA früh von der Hype-Maschine erfasst; sein Auktionsrekord, erzielt posthum 2023, liegt bei 6,4 Millionen Euro.
Eine Doku, die im Annex der Schau läuft, lässt wenig Zweifel daran, dass die Aufmerksamkeit des Betriebs den autistischen, psychisch labilen Maler belastete. Dass er es als bitterarmer van-Gogh-Wiedergänger besser gehabt hätte, darf man aber bezweifeln. An der Integrität Wongs zweifelt man nicht – wohl aber an der Fähigkeit von Markt und Museen, die Kunstgeschichte der Zukunft heute schon festzuschreiben.
(kurier.at, hub) | 13.02.2025, 17:00