Anschlag in Villach: Tat wirft Licht auf Onlineradikalisierung
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Kreise aus dem Verfassungsschutz teilten der APA mit, dass der 23-jährige Täter Anhänger eines radikalislamischen Influencers gewesen sei. Bei einer ersten, oberflächlichen Sichtung seines Handys fand sich Propagandamaterial der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Der Syrer hatte auch ein Video mit einer „Beitrittserklärung“ zum IS aufgenommen und auf dem Gerät abgespeichert, aber nicht abgeschickt. Der Verdächtige habe erwartet, dass die Polizei die Aufnahme nach dem Attentat veröffentlichen werde, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Klagenfurt der dpa.
In seiner Wohnung soll er eine Fahne des Islamischen Staats (IS) an der Wand gehabt haben. Die Tatwaffe, ein Klappmesser mit einer zehn Zentimeter langen Klinge, habe er sich erst drei Tage vor der Tat gekauft, so die „Salzburger Nachrichten“. Er soll der Polizei bisher nicht aufgefallen sein, auch einschlägige Onlinekontakte sollen die Ermittler nicht gefunden haben. Der Mann wurde mittlerweile in die Justizanstalt Klagenfurt überstellt – mehr dazu in kaernten.ORF.at.
Villach: Antrag auf U-Haft gestellt
Nach der tödlichen Messerattacke in Villach am Samstagabend herrscht Trauer und Wut. Gegen den mutmaßlichen Täter, einen 23-jährigen syrischen Asylberechtigten, wurde Antrag auf U-Haft gestellt.
Für Terrorismusforscherinnen- und -forscher passt das Bild des Täters von Villach in ein Muster: Radikalisierung finde immer öfter fast ganz oder ausschließlich online statt. Verstärkt zeige sich das seit Beginn des Gaza-Krieges – und eine zentrale Rolle spielt die Plattform TikTok, so etwa die Terrorismusforscherin Daniela Pisoiu vom Österreichischen Institut für Internationale Politik im Ö1-Morgenjournal.
Thema Gaza „effizient ausgenutzt“
Auf TikTok könne man „sehr schnell von unauffälligen Videos hin zu IS-Propaganda kommen“, dabei bekomme man „sehr schnell ähnliche oder sogar extremere Inhalte vorgeschlagen“. Der Ausgangspunkt sei häufig unauffällig, oft würden sich User nur zu einem Thema informieren wollen, dann aber immer tiefer in eine Extremismusspirale geraten.
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Österreich
Neue Erkenntnisse zu Attentat
„Gerade der Krieg in Gaza hat dazu geführt, dass sich sehr viele Leute eben für dieses Thema interessieren, dass sie versuchen, Antworten zu finden“, so Pisoiu. Das habe dazu geführt, dass „die terroristischen und extremistischen Akteure dieses Thema sehr effizient ausgenutzt haben.“ Das Angebot habe sich vervielfältigt, und entsprechende Influencer seien Experten darin zu emotionalisieren, zu instrumentalisieren und gerade junge Leute in „Onlineblasen“ einzuschließen.
Radikale Influencer müssen verbannt werden
Pisoiu betont, man müsse vor allem bei den Verbreitern der radikalen Inhalte ansetzen und entsprechende Influencer von den Plattformen verbannen. Der auf IT-Recht spezialisierte Jurist Nikolaus Forgo von der Universität Wien betont im Ö1-Mittagsjournal, dass es hierfür durchaus Werkzeuge gebe – etwa den Digital Services Act (DSA) der EU.
Der DSA soll Plattformen zwingen, stärker gegen illegale und hetzerische Inhalte im Netz vorzugehen und diese auch zu entfernen. Allerdings brauche es auch Strafverfolgungsbehörden, die für diese Aufgabe besser ausgerüstet sind, so Forgo. Problematisch werde es außerdem, wenn sich die Influencer außerhalb der EU aufhalten. Zudem brauche es Aufklärung, so der Jurist.
„Dschihadistische Welle“
Einen „neuen Typus von Terrorist“ sieht auch der Terrorismusforscher Peter R. Neumann. Er beobachte seit dem 7. Oktober 2023 – dem Tag des Anschlags der radikalislamischen Hamas auf Israel – eine „richtige dschihadistische Welle“, die vor allem online stattfinde, so Neumann in der ZIB2.
„Vor zehn Jahren galt noch, Radikalisierung spielt sich niemals komplett online ab, man braucht einen Offlineeinfluss. Jetzt sehen wir immer mehr Radikalisierungsverläufe, wie auch offensichtlich in diesem Fall, die sich fast ausschließlich oder ausschließlich online abspielen“, so Neumann. Die Onlineradikalisierung könne in relativ kurzer Zeit zu brutalen Taten führen.
Terrorismusforscher: Neue Welle an Radikalisierung
Politologe Peter Neumann diagnostiziert eine zunehmende Radikalisierung.
Direkter Weg in die Filterblase
Maßgeblich verantwortlich dafür sei die Bauart der sozialen Netzwerke. TikTok etwa sei eine Plattform, „die extrem algorithmisch amplifiziert ist. Was bedeutet das? Das bedeutet, wenn du einmal auf einen Islamisten draufklickst, dann kriegst du nur noch Islamisten eingespielt und du kriegst das ganze Netzwerk von Islamisten und Dschihadisten von diesen Plattformen noch mit dazu geliefert.“
Hinweis
Am Dienstag wird zum Anschlag in Villach ein Gedenken ab 18.00 Uhr in ORF III und Radio Kärnten live übertragen, ORF2 sendet ab 17.30 eine ZIB Spezial.
Es sei einfacher denn je, in diesen Filterblasen zu landen, und „wenn man natürlich weiß, wie junge Menschen heutzutage diese Plattformen benutzen, nämlich nonstop, dann kann man sich auch vorstellen, wie schnell dieser Prozess, dieser Zyklus gehen kann“.
Weil sich die Radikalisierung beschleunigt habe, müssten auch die Sicherheitsbehörden schneller und versierter werden, so Neumann. Es gelte, im virtuellen Umfeld genauso kompetent zu sein wie jene, die sie bekämpfen müssen. Hier gebe es großen Aufholbedarf, so Neumann auf X.
Innenministerium fordert Messengerüberwachung
Das ÖVP-geführte Innenministerium fordert nach dem Anschlag zusätzliche Befugnisse. So soll geprüft werden, ob es zusätzliche Befugnisse bei der Betretung von Wohnorten braucht. Darüber hinaus wollen das Ministerium und der Staatsschutz schon lange eine Messengerüberwachung erwirken, doch die anderen Parteien unterstützen die Forderung nicht.
Neue politische Debatte zu Messengerüberwachung
Das Attentat von Villach hat auch eine neue politische Debatte über die Überwachung von Messengerdiensten ausgelöst.
Maßnahmen wie die von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) angekündigte Massenüberprüfung syrischer und afghanischer Asylwerber könnten einen gegenteiligen Effekt zeigen und noch weiter zur Radikalisierung beitragen, warnt Pisoiu: „Teil der extremistischen Propaganda ist es zu sagen, dass die westlichen Gesellschaften Muslime hassen, nicht mögen, dass der Islam eigentlich hier nicht hingehört“, so die Forscherin. Eine solche Maßnahme könnte diese Propaganda auch zum Teil bestätigen.